Die meisten Langstrecken-Interessierten im Norden "stoßen" irgendwann auf HHB - das vom Audax Club SH ausgerichtete "Brevet/Zeitfahren" von Hamburg nach Berlin. Diese Veranstaltung ist quasi legendär - vom beengten aber immer netten Frühstück im Fährhaus Altengamme, über die Elbblicke, die weite Landschaft Brandenburgs und die "Alleen der Leiden" bis hin zur kultigen Ankunft in Berlin. Dömitz, Lenzen, Rhinow, Friesack, Nauen - Orte, die ich zumindest vorher nie gehört hatte, sind HHB-Fahrern bestens bekannt. Nachdem ich zweimal als Einzelstarter dabei war, wollten wir dieses Jahr zu dritt unserer Langstreckensaison den krönenden Abschluss geben, und wir hatten trotz der rapiden Vergabe der Startplätze alle 3 einen "ergattert".
Die Vorbereitung war leidlich gut, 2 von uns kamen aus mehrwöchigen Urlauben (erstaunlicherweise ohne Rad ;-) ). Diskussionen bzgl Übernachtung und Rücktransport hatten am Ende ergeben, dass wir in einer Pension nahe am Ziel bleiben und mit dem Rad am Sonntag zurückfahren würden (wenn man das Rad schon mal da hat... ;-) ). Burkhart vom AudaxClub SH hatte sich bereit erklärt, Gepäck auch wieder zurück nach HH zu nehmen.
Das selbst-gewählte Los des Randonneurs führt oft zur frühem Aufstehen - auch dieses Mal klingeln um 4 herum bei uns die Wecker. Während Carsten mich dankenswerterweise nochmal abholen würde, wollen wir Stefan am Start treffen. Kurz vor unserer Abfahrt eine Whatsapp von Stefan: "Bindig der Bahn" Hä??? "Bin auf der Bahn? Bin nich dabei?" "Windig, der Wahn?" Egal, wir müssen los. Am Start im Dunkel herrscht reger Betrieb, Radler mit und ohne Licht kreuz und quer, was die ohnehin schwierige Parkplatzsuche noch erschwert. Whatsapp von Stefan "Bin am Frühstücken" - super.
Räder zusammenbauen, Gepäck sortieren und abgeben, irgendwie hatten wir dann doch zuwenig Zeit für das alles eingeplant, so dass wir dann im Wesentlichen ohne bzw mit hastig heruntergeschlungenem Frühstück mit 10-minütiger Verspätung loskommen... und dann doch nicht, da eine Straßensperrung bzw neue Straße uns gleich am Anfang erstmal in die Irre fahren lassen...
So ist es bereits viertel vor 8 als wir endlich auf der anderen Elbseite sind. Es nieselt und ist kalt, bei mir geht es, aber Stefan fährt mit einem geliehenen Paar Fingerlinge und Funktionshose, da er leider seine Tasche mit "Überklamotten" zuhause stehen lassen hat... Trotzdem kommen wir recht schnell in Tritt, wechseln uns flüssig ab und passieren einige Gruppen. Einige stehen am Rand und haben schon den ersten Defekt oder wechseln Klamotten. Der angekündigte Gegenwind hält sich (noch) in Grenzen und wir sind flott unterwegs. Nach ~30km kurzer Wasserstopp. "Kaffee in Bleckede?"... hm, wir planen eigentlich, bis zur einzigen Kontrolle in Dömitz durchzufahren. Weiter geht es, durch Bleckede und die Algarve (Alt Garge ;-) ), unser Track beschert uns den ersten einiger knackiger Anstiege zwischen hier und Hitzacker. Bei der Abfahrt treffen wir wieder auf eine Gruppe Brandenburger, mit denen wir vorher schon mal 10km mitgerollt waren und die - anders als wir - den Elberadweg genommen hatten. Zwischen Bleckede und Hitzacker ist es (ja) deutlich wellig, und Stefan hat als Leichtgewicht ohne Gepäck sichtlich seinen Spaß. Wir rollen erstmal mit den Brandenburgern mit, die auf vielen Nebenwegen die Strecke zwischen Hitzacker und Dömitz "überwinden" - die waren schon öfter hier... Gegen 11 sind wir an der Kontrolle in Dömitz. Hier begegnen uns die letzten Velomobile, die deutlich später starten und in der Regel keine 7h für die gut 270km nach Berlin brauchen.
Wir haben vorher abgemacht, auf eigene Faust weiterzufahren, da die Gruppe einen doch eher inhomogenen Fahrstil hatte. Nach dem kurzen Schlenker durch Meck-Pomm ist man ab kurz hinter Dömitz die ganze restliche Strecke bis Berlin in Brandenburg. Es geht durch sehr weite, kaum besiedelte Landstriche in denen es einige besondere Vögel (auch der fliegenden Sorte ;-) ) aber sonst auf unserem Weg wenig zu sehen gibt - man merkt, dass Brandenburg nach Mecklenburg das am wenigsten besiedelte Bundesland ist. Insbesondere gibt es hier nirgendwo Schutz vor dem jetzt doch recht starken Ostwind. Nachdem Stefan bis Dömitz auch viel vorne war, macht sich jetzt nach gut 100km das reduzierte Fahrradprogramm der letzten Wochen zunehmend bemerkbar. In Wittenberge ist dann eine Pause fällig - endlich Kaffee ... und evtl auch der "Vorbote" unserer späteren späten Ankunft, da es doch - nachdem wir erstmal im Warmen und Trockenen sitzen - eine ganze Weile dauert, bis wir wieder loskommen. Wir arbeiten uns weiter gegen den Wind nach Süd-Osten. Hinter Havelberg kurze Pause an einem Radwander-Rastplatz. Hier waren vor 3 Jahren noch deutlich die Folgen des Elbhochwassers zu sehen. Trotzdem gerade Stefan zunehmend "beißen" muss, ist die Stimmung gut, aber der Wind nervt und der Asphalt rollt streckenweise überhaupt nicht! Die Verflegungspunkte gerade samstagnachmittags und sonntags sind hier rar gesäht, und wir hangeln uns an diesen entlang, Rhinow, dann bei einsetzender Dunkelheit durch den Wald nach Friesack. Wir werden im Aldi auf die vielen "Besucher" in Radklamotten angesprochen und kommen nett ins Gespräch - auch das ist HHB. Carsten packt seine Wunderwaffe aus - Cola und Schokolade. Im Dunkeln geht es nun wieder deutlich zügiger richtung Süden. Die Nacht hat ihre eigenen Reize, ein Windpark bietet ein spektakuläres Bild aus roten "Sternen". Es wird kaum gesprochen, Carsten und ich wechseln wie ein Uhrwerk. Letzter Tankstopp in Nauen. Flüssig geht es weiter, schneller als gedacht sind wir in Berlin. Die 10km durch die Stadt ziehen sich etwas aufgrund der Ampeln. Kurz vor Ende kommen wir an einem Liegerad mit Defekt vorbei - wie ärgerlich! Dann das Ziel - geschafft! Wir schnacken im Ziel kurz mit Bärbel und Burkhart, aber so ganz viel Zeit bleibt nicht, falls wir noch was zu Essen bekommen wollen.
Die Pension Sena liegt direkt auf dem Track etwa 2km vor dem Ziel und hat praktischerweise einen Italiener im Erdgeschoss. Wir verstauen mit Hilfe des sehr zuvorkommenden Besitzers, Herrn El-Lakkis, unsere Räder. Trotzdem es kurz vor Geschäftsschluss ist, können wir in der Trattoria Gardenia noch lecker Pizza essen.
Auf unserem Zimmer tut es dann doch gut, endlich die Beine hochzulegen. Wir planen kurz den nächsten Tag; um zu einer vernünftigen Zeit wieder in HH zu sein, wollen wir spätestens um 7 los. Frühstücken wollen wir in Friesack.
Viel zu früh, wenn auch deutlich später als gestern, klingelt der Wecker. Ich habe geschlafen wie ein Stein. Stefan fährt mit zurück (als ob das je in Frage gestanden hätte ;-) ). Wir entscheiden, auf dem gleichen Track zurück zu fahren, um länger die Option der Bahn zu haben, statt wie geplant in Havelberg über die Elbe und durchs Wendtland. Zunächst geht es zurück zum Wassersportheim in Gatow, um unsere Rucksäcke abzuliefern. Toll, dass das möglich ist! Dann nach Spandau rein. Wir nehmen den Zug, um aus der Stadt herauszukommen. Bäcker Thonke in Friesack ist sehr gemütlich und hat große Auswahl, so dass wir eigentlich viel zu ausgiebig frühstücken. Toll ist es, dann wieder auf der Bahn zu sein. Frisch gestärkt und mit leichtem Rückenwind geht es anfangs noch durch Wald über die flachen Landstraßen nach NW. Ein alter Freund, die 3 vorne bei der Geschwindigkeitsanzeige, lässt sich endlich mal wieder blicken.
Es ist eigentlich ganz nett, nochmal die Strecke "Revue passieren" zu lassen. Die eine oder andere Kopfsteinpflasterumfahrung können wir dadurch nutzen. Die Baustelle am Deich südlich von Wittenberge ist natürlich immer noch da, aber auf der anderen Seite ergibt sich eine Alternative zu einem von uns umfahrenen Schotterstück, bei dem man deutlich länger gut am Deich entlang fährt. Spätestens jetzt machen sich dann doch bei dem einen oder anderen die gestern verbratenen Körner und Sitzfleisch bemerkbar. Leider bleibt auch den ganzen Tag der sture Nebel hängen, so dass statt des angekündigten schönen Herbsttages recht kühl und grau bleibt. Es ist ruhig, Stefan spult stoisch hinter uns seine Kilometer herunter - beachtlich! Wieder südlich der Elbe angekommen nehmen wir den ursprünglich geplanten schön zu fahrenden Weg an der Elbuferstraße bis Hitzacker. Die Pause im netten Kaffee Klatsch fällt kürzer aus als sonst - wir wollen jetzt doch nach Hause. Kollektiv verdrängt hatten wir allerdings, dass ja westlich von Hitzacker einige Höhenmeter auf uns warteten - Steigungen bis 13% - und das jetzt - ARGH! Also nochmal Kräfte mobilisieren. Irgendwie scheint das dann nachgewirkt zu haben, weil wir jetzt zunehmend schneller werden. Die letzten 20km donnern wir inzwischen wieder im Dunkeln mit 33-34 durch die Orte südlich der Elbe zur Brücke bei Geesthacht. 2km vor dem Ziel treffen wir auf Burkhart - wie abgesprochen liegt unser Gepäck im Fährhaus - ganz vielen Dank! Ziemlich genau um 8 sind wir wieder zurück, allgemeines Schulterklopfen.
Nach dem etwas verkorksten Start hat soweit alles super geklappt. Bei mir stehen am Ende in Summe genau 500km und 19:07 Nettozeit auf der Uhr. Erstaunlicherweise waren wir dann am Sonntag mit Rückenwind doch gar nicht so viel schneller als hin am Samstag. Brutto sind es allerdings gut 24h. Die Pausen passen eher zu Brevet/Etappenfahrt als "Zeitfahren", ist aber drittrangig. Treffender als Stefan kann ich es auch nicht zusammenfassen: "Das war mal wieder ein ziemlich krasses Ding, insbesondere am Samstag, mit dem "Püsterchen" von vorne, Kälte und Nässe[..] So was lässt sich nur als Team durchziehen, wo jeder auf dem anderen aufpasst[..]".
Vielen Dank an Carsten und Stefan und gerne bis zum nächsten Mal!