Im Herbst nach Berlin

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- inspiriert durch das alljährliche Zeitfahren Hamburg-Berlin (HHB) des Audax Club SH geht es seit einigen Jahren zum Saisonende nach Berlin.
Waren wir letztes Jahr noch im Rahmen der "offiziellen" Veranstaltung unterwegs, bei der Lutti und ich im "Rennmodus" mit Gepäcktransport die von Lutti vorgegebene 10h Vorgabe knapp gerissen hatten, soll es dieses Mal ruhiger zugehen - Stefan und ich haben das Gepäck für Übernachtung und Rückfahrt dabei, der Track ist - da vom Harburger Bahnhof - etwas länger und weicht an manchen Punkten zugunsten ansprechenderer (?) Streckenführung vom HHB Vorschlag ab.
 
Deutlich vor 4 klingelt der Wecker, damit wir rechtzeitig gegen 5 den Zug nach HH-Harburg nehmen können. Nach zwischenzeitlich bangen Blicken auf die Vorhersage scheint das Wetter wirklich gut zu werden. Im Dunkeln haben wir ein klein wenig Mühe, uns richtig in den Wirtschaftsweg einzufädeln, der aus der Stadt führen soll, dann liegt diese aber doch schnell hinter uns. Wir fahren in den anbrechenden Tag. Ein sich nur langsam auflösender Bodennebel führt dazu, dass die Temperaturen dem Gefrierpunkt empfindlich nahe kommen, aber er liefert auch schöne Bilder in ruhiger Natur. Wir treffen auf entspannte Jogger und Treckerfahrer, sowie erstaunlich viele Rennradfahrer. Ein Nebenaffekt dieses ungewöhnlichen Jahres war, dass ich mich ganz selten zu sehr frühen Starts hab durchringen können, und die aufgehende Sonne macht besonders deutlich, wie schön Brevetfahren doch ist.
 
In Bleckede treffen wir auf den HHB Track, dann steht die einzige wirkliche Steigung der ganzen Strecke an, der Kniepenberg. Jeder fährt sein Tempo nach oben, aber dort angekommen warte ich mit der Kamera im Anschlag vergeblich auf Stefan. Nanu? Ich finde ihn einige 100m bergab über sein Rad gebeugt. Am Hinterrad hat sich eine Speiche Ziehharmonika-artig zusammengefaltet, die Felge ist total verzogen und schleift nicht nur an der Bremse sondern auch an den Streben. Zaghafte Versuche, das Rad zu zentrieren, scheitern an der Systembauweise, dem mangelnden Werkzeug (die übergroßen Speichennippel passen in kein Multitool) und meinem Unvermögen (ich halte Zentrieren schon immer für eine besondere Art der Zauberei ;-) ). Nun gut, es sind noch 8km bis Hitzacker, irgendwie wird das schon gehen... denkste; nach dem 2ten Hügel platzt aufgrund der Reibung der Schlauch... Etwas bedröppelt stehen wir am Straßenrand als Dorian aus Hitzacker anhält - einfach so! Er baut sein Auto halb um, damit Stefan und sein Rad hineinpassen - echt toll! - und bringt Stefan zum einzigen Radladen weit und breit. Als ich dort eintreffe, finde ich einen konsternierten Stefan vor; im eher auf Verleih spezialisierten Geschäft war die ernüchternd schnell erteilte Diagnose, dass man weder mit einer Reparatur helfen könne, noch ein irgendwie geeignetes Laufrad verfügbar wäre. Da man ohne Hinterrad schlecht fahren kann, und keines der Verleihräder so aussieht, als würde man sich ihm für die gut 200km Reststrecke nach Berlin anvertrauen wollen, beschließen wir schweren Herzens abzubrechen. Schon auf der Rückfahrt fällt der Entschluss, es in 14 Tagen erneut anzugehen.
 
Gesagt, getan - 2 Wochen später stehen wir wieder um 20 nach 6 vor dem Harburger Bahnhof. Diesmal geht es flüssig aus der Stadt heraus und Richtung Osten ... oder auch nicht: statt der angenehmen leichten Brise im Rücken haben wir jetzt Seitenwind, und es nieselt. Der Herbst hat in den vergangenen Wochen deutlich seine Spuren hinterlassen - insbesondere auf den Radwegen liegt sehr viel Laub, Äste und Eicheln/Kastanien/Bucheckern, etc. Ein Platten nach 25km lässt keinen richtigen Rhytmus aufkommen. Trotzdem kommen wir zügig voran, meistern den Kniepenberg und die Elbhöhen-Achterbahn ohne Zwischenfall und sind sogar mit einem etwas höheren Schnitt in Hitzacker. Die Verkäuferin bei Bäcker Stahlbock ist richtig nett, und die Pause dehnt sich länger aus als geplant. Wieder auf der Strecke macht sich jetzt doch die teilweise verkorkste Saison bemerkbar. Manche Beine sind schon jetzt schwer, und so richtig in Gang kommen wir nicht. Komoot "beschert" uns eine Variante über Betonplatten im Nirwana, ob sich das gelohnt hat? Wir queren "vorschriftsmäßig" die Elbe bei Dömitz. Die Fahrt über die Brücke mit dem Hinweis auf die deutsch-deutsche Teilung finde ich jedesmal wieder berührend. Durch Dömitz geht es auf der "Scenic Route" an der Festung vorbei - das sieht zwar toll aus, aber Herbstlaub auf Kopfsteinpflaster sind kein Spaß, jedenfalls nicht, wenn man auf schmalen Rennradreifen unterwegs ist, und so entgeht Stefan mehrfach nur knapp einem Sturz. Dann in das Land der Alleen ... Polz, Lenzen, Cumlosen, Wittenberge, weites Land, gerade, von Bäumen gesäumte, Wege soweit das Auge reicht, aber im kaum aufgelockerten, wolkenverhangenen Grau auch nicht wirklich aufmunternd.
 
Das soll im Pfannkuchenhaus Hinzdorf anders werden - Stefan hatte sich extra erkundigt, da die Verpflegungsmöglichkeiten angesichts des Feiertages doch deutlich eingeschränkt waren, und wir bemühen uns als einzige Gäste, dass sich das Öffnen wenigstens einigermaßen gelohnt hat. Auch hier ist man sehr hilfsbereit und zuvorkommend. Der obligatorische Pfannkuchen ist total lecker, und wir werden mit dem Angebot des Mitnehmens nach Berlin verabschiedet - allerdings erst am Montag ;-). Aber der Weg ist ja das Ziel, und so machen wir uns auf dem Weg Richtung Havelberg. Dieser führt uns zwischen Elbe und Havel entlang. In der Dämmerung verwischen die Farben, alles fährt einen Gang runter. Es ist total ruhig, man sieht Wild und Vögel aller Art. Auf dem Deich nervt der zunehmend auf Süd drehende Wind, der Weg unterhalb des Deiches besteht dafür häufiger aus Rasengitterplatten, über die ich mit meinen 47er Breitreifen ohne Probleme "gleite", die aber auf dem Rennrad extrem nervig sind und viel Konzentration verlangen. Stefan ist inzwischen platt, und als wir Havelberg erreichen, ist es schon dunkel.

Erst einmal Kaffee! In der Tanke planen wir das letzte Drittel. "100 km mehr geht immer" - wenn es bei Rot-Gold jemanden gibt, dessen Wahlspruch das sein könnte, ja müsste, dann Stefan. Auch / sogar doppelt! Vielleicht ist es ganz gut, dass die Dunkelheit den vor uns liegenden Weg verschleiert, so geht es durch die endlose Weite der unteren Havel. Den Übergang auf den Inbegriff der "Allee der Leiden" vor Rhinow merken wir am Asphalt. Stefan kurbelt nur noch. Der Radweg auf dem Weg nach Friesack ist erfahrungsgemäß nicht schlecht, verschwindet aber unter Laub usw. Irgendwie kommen wir dann doch nach Friesack, Endpunkt unserer HBB (Bremen-Berlin) Aktion vor 2 Jahren. Im "Bistro Frisack" packen sie zwar eigentlich schon zusammen, sind aber sehr bemüht, unsere Wünsche zu erfüllen. Stefan konzentriert sich auf seine Cola, 3/4 seiner Pizza landet in meiner Gepäcktasche - ob das gut geht? Aufmunternde Apps von Holger - weiter so!

 
Wir fahren weiter bei hellem Mondschein. Das ist ganz gut so, denn ein durch Laub verschleiertes Schlagloch beschert uns einen Durchschlag. Die Alternative, um 1-2km kürzere, Route hinter Friesack hält den wohl schlimmsten Betonplattenweg Brandenburgs parat. Ab Paulinenaue haben wir dann wieder "richtige" Straße unter den Rädern, und mit jedem km näher an Berlin löst sich jetzt die Spannung. Im Mondschein, begleitet vom Blinken der Warnleuchten der Windparks, krabbelt unser Schnitt peu a peu wieder nach oben. Ein Gel am Stadtrand von Nauen setzt zusätzliche Kraft frei - zügig, wie auf der ganzen Strecke, düsen wir auf perfektem Asphalt durch den Brieselanger Wald. Ein Vorteil der fortgeschrittenen Stunde ist, dass kaum Autos auf der Straße sind, selbst dann nicht, als wir die Stadtgrenzen passieren. Wir rauschen auf der Hauptstraße durch Falkenhagen. Dann... "Berlin-Spandau"!
 
Strahlender Sonnenschein begleitet am nächsten Morgen die Rückfahrt im ICE. Wir lassen die Tour Revue passieren. Es war mal wieder ganz anders als sonst, viele Eindrücke und besondere Erfahrungen haben wir gesammelt. Überall ist man uns sehr freundlich begegnet, insbesondere bei unseren Stopps. Nur Autofahrer aus einem Niedersächsischen, von der Elbe durchflossenen Landkreis waren der Meinung, uns erziehen zu müssen.
 
War es sicher? Wir haben dafür alles gegeben. Haben wir alles gegeben? Aber sicher!

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