Geschafft! So unterschiedlich wie unsere Vorbereitung, aber letztendlich gemeinsam, sind wir auf der Wartburg angekommen!
Aber der Reihe nach: erstaunlicherweise hatten sich Anfang des Jahres sogar genug Interessenten für 2 Teams gefunden, die zum ersten Mal an der Sternfahrt der Langsteckenfahrer in Deutschland teilnehmen wollten. Bei der "Fleche Allemagne" geht es darum, in Teams von 3-5 Fahrern auf einer selbstgewählten, mindestens 360km langen Strecke innerhalb von 24h zur Mitte Deutschlands auf die Wartburg nach Eisenach zu fahren.
Nachdem sich die Konstellationen aufgrund von Verletzungen, Krankheit und Terminüberschneidungen mehrfach geändert hatten, stehen wir dann also zu siebt am 29. April an dem Startpunkt unserer Permanenten bei McDonalds in Habenhausen. Volker ist topp-vorbereitet, alles ist abtelefoniert und organisiert, 2/3 der Strecke sogar kurzfristig noch abgefahren. Er fährt mit Aurelia, Günter und Hartmut über Hodenhagen, Celle, Salzgitter nach Osterode, dann über Duderstadt, Mühlhausen und Bad Langensalza nach Eisenach. Wir blicken mit gemischten Gefühlen auf unsere geplante Strecke; fast alle sind oder waren gesundheitlich irgendwie angeschlagen, Carsten muss ganz passen. Unsere Route soll über Stolzenau nach Rinteln, dann der Weser entlang nach Beverungen und schließlich über Hannoversch-Münden und Eschwege nach Eisenach führen. Nach einigen Diskussionen im Vorfeld wollen wir versuchen, uns in Mühlhausen zu treffen, um die letzten km gemeinsam zu fahren. Dadurch bekommt unsere Strecke am Ende einen nicht nur "bildlichen" Haken - s.u. ;-).
Also, Samstagmorgen, 9 Uhr; ganz toll: Gabi und Holger kommen als Verabschiedungskommittee, mit Rosinenbrötchen. Schnell noch die Rahmenschilder am Rad befestigt, und den Startstempel abgeholt - zum Glück haben wir mit Christophe einen waschechten Franzosen dabei, der die Anweisungen im ganz offiziell von Audax Club Parisien - natürlich nur auf Französisch ;-) - herausgegebenen Logbuch übersetzen kann.
Die ersten km auf dem Deich rollen wir noch zusammen, in Dreye trennen sich unsere Wege. Nach den ständig wechselnden Vorhersagen haben wir Glück mit dem Wetter - es ist kühl aber trocken, leichter Wind aus Westen. Wir rollen locker auf der Trainingsstrecke Richtung Süden. Bei Okel freudiges Hallo! - die Gruppe vom RCB um Willi fährt auf uns auf! Wir rollen bis Wachendorf ein paar km zusammen, dann geht es für uns über Süstedt und Engeln auf unsere Brevetstrecke. Dieser erste Abschnitt ist ruhig und flach, grüne Wiesen, gelbe Rapsfelder, blauer Himmel und weiße Wolken, kaum befahrene Straßen - Radfahrerglück! Einzig, wenn wir mal nach SW eindrehen "stört" der Wind etwas. Planmäßig sind wir vor 12 an unserem ersten Kontrollpunkt in Stolzenau. Es geht weiter Richtung Süden, durch Loccum, dann Wiedensahl, den Geburtsort von Wilhelm Busch. Stadthagen lassen wir "links liegen" und kommen dann nach einem kurzen Stück auf der B83 (durften wir da überhaupt fahren?) endlich "richtig" an die Weser. Jetzt geht es erstmal auf dem Weserradweg weiter, der ja wirklich über ganz weite Strecken hervorragend ausgebaut ist. Zweiter Stopp ist Sannes Kaffeestuuv in Tündern. Sannes ist nicht ganz billig, aber sehr urig, freundlich, es gibt große Kaffeetassen und super leckere Torten... so lecker, dass Stefan und ich gleich doppelt zugreifen :-).
Gestärkt geht es flüssig weiter, bald sieht man auch die Kühltürme des AKW Grohnde nicht mehr. Es geht weiter mit den Weserschleifen, an einigen schönen Campingplätzen vorbei, immer flach an der Weser entlang. Die kurze Klettereinlage bei Heinsen ist eine fast schon willkomene Abwechselung. Auf der Strecke liegen hier einige stillgelegte aber immer noch beeindruckenden Eisenbahnbrücken und Werkshallen. Unsere 2te Kontrollstelle liegt an der Weserbrücke in Höxter. Auf der anderen Weserseite werden wir deutlich schneller; vielleicht ist es aber auch die Aussicht auf das Abendessen, die uns zügig mit deutlich über 30km/h nach Beverungen fliegen lässt. In der Pizzeria "Zur Post" waren wir angekündigt. Das Ambiente ist "rustikal", die Bedienung nett und zuvorkommend, die Pizza lecker und günstig.
Wir waren schon mit ca 45min Verzögerung angekommen; als wir los wollen ist es dämmerig. Die Vorbereitung von Beleuchtung/Bekleidung und ein letzter Einkaufsstopp "fressen" zusätzlich Zeit, so dass es halb 10 und richtig dunkel ist, als wir endlich wieder "richtig" auf dem Rad sitzen; es ist nun mühsam, den schmalen Wegen des Radwegs zu folgen, so dass wir ab Bad Karlshafen erstmal auf der Hauptstraße bleiben. Zum Glück ist wenig Verkehr, und es rollt recht gut. Die Luft ist klar, ein Reh kommt durchs Unterholz und quert vor uns die Straße. Die Sinne sind geschärft. Es wird kühl, die Temperaturen gehen gehen 0. In Gieselwerder kreuzen wir wieder die Weser, um auf der Land- statt der Bundesstraße weiter nach Hann-Münden zu fahren. Hier ist das Gelände deutlich wellig, was eigentlich eine ganz schöne Abwechselung ist, aber während es im Flachen noch ganz gut lief, machen sich das fehlende Training und die nicht auskurierte Grippe zunehmend bemerkbar. Trotzdem sind wir noch ganz guter Dinge, als wir in Hann-Münden ankommen; das ändert sich ein bisschen, als wir feststellen, dass der Bahnhof quasi ausgestorben ist, und "die" offensichtliche Tankstelle nur einen Nachtschalter hat, dessen "Betreiberin" sich auch nicht erweichen lässt, uns zum Aufwärmen reinzulassen. Immerhin bekommen wir Kaffee und Heiße Schokolade.
Gegen halb 1 geht es nun weiter. Rückblickend kann man wohl sagen, dass es ungünstig ist, das vom Terrain anspruchsvollste Stück mitten in die Nacht zu legen, auch wenn man dann kaum den Haupt- und /Bundesstraßen fernbleiben kann. Naja, jedenfalls geht es dann hinter Witzenhausen hoch. Hier wird die Fleche dann zur echten Herausforderung - Steigungen mit zweistelligen Prozentwerten, es ist stockfinster und mucksmäuschen still, die Temperaturen liegen nun deutlich unter 0. Das ist gleichzeitig auch schön - es gibt es hier kaum Orte, der Sternenhimmel ist grandios, überall raschelt es im Unterholz. Ansonsten ist es absolut ruhig, abgesehen von unserer schweren Atmung und den Geräuschen vom Wiegetritt. Wir kommen durch mittelalterliche Orte, die sicher auch mal einen Besuch bei Tageslicht wert wären. Es geht weiter auf und ab, Stefan geht bis an die Grenze der Erschöpfung. Dann endlich die letzte rasende Abfahrt nach Eschwege. Es ist bitterkalt. Das geschwungene M hat wohl bei keinem von uns vorher je solche Freude ausgelöst. Müde, kaputt und kalt kommen wir an. Drinnen hat selbst das Licht eine "warme" Qualität, und die junge Dame in der McCafe-Ecke ist total nett, ruhig und entspannt. Stempeln, Kaffee, Wasser, Kuchen, kleckerweise, alles kein Problem. Wir sind zwar die erste aber bei weitem nicht die einzige Gruppe, die sich den McDonalds in Eschwege ausgeguckt hat: nach und nach kommen Gruppen aus der Nähe von Münster, aus Dortmund, aus Osnabrück. Als wir uns nach einer Stunde als erste wieder aufrappeln, sitzen und liegen bestimmt 15 Radfahrer in verschiedenen Ecken.
Im Gegensatz zu den anderen, die jetzt nur noch gut 2h vor sich haben, wollen wir ja spätestens um 6 in Mühlhausen auf das andere Team treffen, also los... Unser Track würde die Bundestraße wieder meiden, aber ein Hinweisschild in Eschwege führt uns auf eine Route auf der Landstraße nach Wanfried und dann die Bundesstraße nach Mühlhausen, die verspricht, einfacher zu sein. Ha! ich jedenfalls hatte von den "Wanfrieder Werrahöhen" vorher nicht gehört, von deren "steilen West- und Südhängen" Wikipedia spricht. Eben diese Rampe müssen wir von Südwesten hoch, und nun geht es endgültig ans Eingemachte für Stefan. Falls das Treffen mit Team 2 nicht gezogen hätte, wäre sein Rad wohl im Wald gelandet. Es ist immer noch sehr kalt. Eine langgezogene Steigung nach der anderen gilt es zu erklimmen. Als Sahnehäubchen ist die B249 auf mehrere km gefräst, so dass es hier nicht mal mehr richtig rollt.
Volker hat sein Team, das auch teilweise zu kämpfen hatte, richtig pünktlich nach Mühlhausen dirigiert, und ich rechne schon damit, dass wir sie verpassen, da sind wir in Eigenrieden, und von dort donnern wir mit 50 hinunter nach Mühlhausen! Wahnsinn! Wer kann, juchzt, schneller und schneller, links, rechts, jetzt sind auch Ampeln kurz mal dunkelgelb; quasi mit quietschenden Reifen kommen wir um viertel nach 6 - 15min zu spät - bei der Total-Tankstelle in Mühlhausen zu stehen - es hat geklappt, allgemeines Schulterklopfen und Hallo!
Jetzt kann ja nichts mehr passieren! Im schönen Rot-Gold Tross rollen wir Richtung Süden. Es ist leicht wellig, auf den Kuppen kann man kilometerweit über die sonnengeflutete Ebene schauen, nur leider kommt von der Wärme nichts unten an - es sind immer noch max 2°! In Bad Langensalza "verpassen" wir das schöne Zentrum aber nicht das drumrumgelegte Kopfsteinplaster und steuern die letzte Kontrolle an. Auch hier hatte Volker angerufen, und wir werden herzlich empfangen. St Pauli ist auch "da", und es wird natürlich kurz über Fussball gefrotzelt.
Auf der letzten Etappe geht es dann über die Ausläufer des Hainich, und das ist dann nach 23h bzw knapp 400km nicht mehr ganz so einfach. Trotzdem wir auf der Bundesstraße sind, hält sich der Verkehr in Grenzen. Allerdings sehen wir auch keine anderen Radfahrer, so dass das Gefühl, Teil einer großen Sternbewegung zu sein, nicht so richtig aufkommen will - vielleicht sind wir aber auch einfach zu spät dran. Die letzten Steigungen fordern gerade den länger verletzten bzw kranken alles ab, dann verpassen wir sogar die erste Abfahrt und "erkaufen" uns eine zusätzliche Steigung! Erst in der Wartburgallee in Eisenach treffen wir wieder auf andere Radsportler, und dann ordentlich. Von wegen, "der Parkplatz ist unten"... schön nochmal mit 12, 13% zur Wartburg rauf, auf der Ziel"rampe" (von "-Geraden" kann man nicht wirklich sprechen ;-) ) holen wir sogar den einen oder anderen noch ein. Dann sind wir oben, zusammen geht es über die Ziellline, wo sich ein gewisser Antiklimax einstellt, denn relativ unspektakulär am Wegesrand werden von Volker und mir die Kontrollkarten unserer Teams eingesammelt und die Medallien ausgegeben. So schnell kann ich die verschiedenen Trikots gar nicht greifen; ich erkenne jemanden aus dem McDonalds in Eschwege wieder, während wir warten, kommt eine Gruppe, die in Österreich gestartet ist!
Duschen und Essen sind quer über Eisenach verteilt. Am Stadion wartet Robert schon; toll, dass er sich bereit erklärt hat, Günters Transporter zu fahren, so dass die meisten von uns recht komfortabel wieder nach Hause kommen. Insa ist ja schon die ganze Zeit als gute Seele und Transportchefin dabei, auch dafür ganz herzlichen Dank! Christophe und ich kommen mit dem Schönen-Wochenend-Ticket zurück; weswegen wir uns beim Essen beeilen müssen. Von der Fahrt bekomme ich nichts mit, der Ebook-Reader, den ich eingepackt hatte, bleibt ungenutzt im Rucksack.
Am Ende sind Christophe, Stefan und ich 423km und gut 3000 HM in 17:24 netto gefahren, Volker, Aurelia, Hartmut und Günter ~390km.
Was bleibt? Dass wir mit dem Wetter eigentlich wieder total Glück hatten, aber dass mehrere Stunden bei -5 auch ganz schön zehren (offenbar mussten einige Teams sogar aufgeben). Dass dankenswerterweise alle wohbehalten angekommen sind. Die Erkenntnis, dass man 400km eben doch nicht unvorbereitet "abreißen" kann. Dass man nie genug Ersatz-Stecklichter dabei hat. Dass Stefan wieder einmal den Spruch "100km mehr geht immer" belegen konnte (bzw "400km"). Und immer wieder die Frage nach dem Warum?
Warum nicht? - wir sehen uns auf dem Rad!!